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Ob Sehnsucht nach Indonesien oder nach Deutschland: Ist sie Antrieb oder mangelnde Dankbarkeit?

Von Stephie



Warum möchten wir in ein anderes Land auswandern? Wieso vermissen wir den Partner, wenn er nicht bei uns ist? Und warum fragen wir uns so oft, was gewesen wäre, wenn wir in der Vergangenheit etwas anders gemacht hätten? Sehnsucht ist für viele Menschen ein ständiger Begleiter. Sehnsucht ist kompliziert. Sie kann sowohl romantisch und schön sein als auch traurig machen. Wir können Sehnsucht nach dem Partner, Sehnsucht nach dem Meer und Sehnsucht nach der Familie haben. Auch wenn Sehnsucht manchmal schmerzlich ist, geht sie oft mit einer gewissen Vorfreude einher; vor allem wenn wir wissen, dass unsere Sehnsucht bald gestillt sein wird und sich unsere Wünsche erfüllen.


Was gegen Sehnsucht und Heimweh hilft:

  1. neue Kontakte knüpfen

  2. Rituale entwickeln

  3. Aufgaben erfüllen

  4. mit Freunden oder Eltern telefonieren, aber auch nicht zu oft

  5. Gerichte aus dem anderen Land kochen

  6. dankbar für das sein, was schon da ist


Sehnsucht nach Deutschland

Nach Deutschland zu reisen, war A’ans lang gehegter Traum. Er hat sich danach gesehnt, unsere Welt kennenzulernen. Die Vorfreude war zwar groß, doch in seinem Dorf ließ er auch traurige Verwandte zurück, die nicht verstehen konnten, warum er nach Deutschland wollte und vor allem, was er dort macht. Sehnsucht ist ein starkes Gefühl und kann in manchen Fällen andere Gefühle überschatten. Es zeigt uns, was möglich wäre, wenn wir etwas in unserem Leben verändern würden.

In den ersten Tagen in Hamburg, konnte A‘an gar nicht fassen, dass er tatsächlich in Deutschland war und strahlte über das ganze Gesicht. Ständig musste ich Fotos von ihm machen: bei Edeka, vor meinem Auto, auf seinem Fahrrad … Das Wetter war genauso warm wie auf Lombok, und es gab so viel zu entdecken.


Heimweh nach Lombok

Doch nach der ersten Euphorie, kam die Sehnsucht nach dem Gewohnten auf Lombok: das Essen, die Freunde, die gemeinsamen religiösen Zeremonien. A‘an lief bei uns noch oft barfuß herum, wenn wir schon seit Wochen Socken und Hausschuhe trugen. Dadurch, dass wir lange auf Lombok waren, froren wir auch schon bei zwanzig Grad. Der Körper musste sich erst an die anderen Temperaturen gewöhnen.


Ich hatte auch geglaubt, A’an würde in Deutschland frieren, aber das ging wiederum. Er hat sich regelrecht abgehärtet, ging Joggen, spazieren und Rad fahren. Dadurch war er nie krank. Aber er konnte nicht gut schlafen, denn seine Verwandten behelligten ihn weiterhin mit ihren Problemen und riefen ihn manchmal sogar in der Nacht an. Als ich ihm pflanzliche Tabletten in der Apotheke holte, meinte die Apothekerin, dass es zum einen vielleicht immer noch die Zeitverschiebung sei, und zum anderen sein Körper quasi wie auf der Flucht sei aufgrund der vielen neuen Eindrücke. Das Wissen, so weit weg zu sein, machte ihn manchmal zu schaffen genauso wie das schlechte Gewissen, als Einziger in der Familie seine Träume zu verwirklichen.


Viele Glücksmomente

Trotz des Zwiespalts hatte A’an viele Glücksmomente in Deutschland: neue Freunde kennenlernen, selbst mit dem Auto durch Rügens Alleen fahren, über die deutsche Grenze nach Dänemark fahren, nach einer Radtour in Hamburg an einem schönen See liegen, die tolle Herbstverfärbung der Bäume erleben, Äpfel pflücken, es gab unendlich viel.

Man sehnt sich nach dem Gewohnten, wenn man es nicht mehr hat, und man sehnt sich nach dem Unbekannten, um neue Erfahrungen zu machen. Sehnsucht ist also ein ambivalentes Gefühl. Sehnsucht kann eine treibende Kraft sein, sich weiter zu entwickeln, sich zu verändern, Risiken einzugehen. Sehnsucht kann aber auch weh tun, wenn man sie sich (noch) nicht erfüllen kann. So haben wir es mit Corona erlebt, als A’an vor über zwei Jahren das Visum bekam, aber wegen des allgemeinen Einreiseverbots nicht mit uns nach Deutschland kommen konnte.


Mein Vater musste als Kind aus seiner Heimat Ostpreußen fliehen und konnte seine Sehnsucht nur in der Natur stillen, denn erst war das Land Sperrgebiet in der damaligen Sowjetunion und später wollte er seine Heimat nicht mehr besuchen, sondern sich die schönen Bilder in seinem Herzen bewahren.


Sehnsucht nach einer Auszeit auf Lombok

Wir haben uns danach gesehnt, mal länger im Ausland zu leben. Ein halbes Jahr auf Lombok, das war natürlich toll. Doch besonders am Anfang habe ich mich oft nach kühlerer und auch frischerer Luft gesehnt. Stattdessen blieb einem nur der Aufenthalt im klimatisierten Schlafzimmer. Mal im Park oder Wald spazieren gehen, das konnten wir auch nicht richtig. Geschweige denn diverse Brotsorten, Aufschnitt und Käse zu Abendbrot essen. Wir waren mit dem zufrieden, was wir bekamen, es musste nicht die große Auswahl sein.


Aufgaben, Freunde und Rituale

Bei Sehnsucht oder Heimweh ist es wichtig, eine Aufgabe zu haben bzw. neue Freunde zu gewinnen. Und Rituale helfen einem, neue Strukturen zu festigen. Auch Anna musste erst ihren Platz in der Schule auf Lombok finden. Ihre Mitschülerinnen sprachen oft nur Indonesisch, trotzdem blieb sie standhaft. Jörg fand ein Volleyballteam ganz in der Nähe unseres Hauses, und ich konnte jederzeit Deutsch unterrichten. Das Positive auf Lombok überwog, aber wir wussten halt auch, dass wir alles, was wir vermissten, wiederbekommen würden.


A’an hatte in Hamburg auch Aufgaben: Er hat für den chinesischen Vater meiner Freundin, der in Jakarta aufgewachsen ist, regelmäßig gekocht, er hatte bei mir Deutschunterricht und hat sich mit einigen Freunden aus der Moschee getroffen. Und natürlich hat er uns im Haushalt geholfen. Aber um hier richtig anzukommen, war die Zeit natürlich doch zu kurz.


Spagat zwischen Anpassung und Identität

Wenn man als Fremder oder Fremde in einem anderen Land lebt, muss man sich auch anpassen. Dadurch verändert man sein Verhalten, kleidet sich anders und bekommt auch eine andere Persönlichkeit. Der Blick weitet sich, aber es ist auch ein Spagat zwischen Anpassung und Identität.


Wenn ich zum Unterrichten auf Lombok gefahren bin, habe ich meist Blusen und Hosen getragen, um nicht aufzufallen. Trotzdem habe ich dort eine Kirche besucht, da es meiner deutschen Kultur entspricht. Irgendwie will man sich selbst treu bleiben und gleichzeitig im anderen Land akzeptiert werden.


A’an hat bei uns in Hamburg drinnen oft einen Sarong getragen, sich draußen aber „normal“ gekleidet. Und er besuchte jeden Freitag eine nahe gelegene Moschee.


Getrennt und doch miteinander verbunden

Jetzt sind wir wieder getrennt für viele Monate. Wir sehnen uns nach A’an und A’an nach uns, also schreiben wir uns jeden Tag und sind dankbar für das, was wir haben. Das Gute ist, dass ich nicht mehr viel erklären muss, denn A’an kennt ja die Orte alle. Außerdem koche ich weiterhin regelmäßig indonesische Gerichte, die A’an mir beigebracht hat. Auch das hilft gegen die Sehnsucht.


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