Seit 1948 ein UN-verbrieftes Menschenrecht: das Recht auf Bildung. Von den Bewohnern der „ersten Welt“ als Selbstverständlichkeit kaum noch gewürdigt, stößt seine Durchsetzbarkeit in den ärmsten Ländern der Erde immer noch an Grenzen. Von seiner eigenen Schulzeit erzählt der 1975 auf der indonesischen Insel Belitung, östlich von Sumatra, geborene Autor Andrea Hirata in seinem berührenden Roman „Die Regenbogentruppe“.
Kann uns das noch interessieren, nach einhundert Jahren allgemeiner Schulpflicht in Deutschland und hinreichender literarischer Auseinandersetzung mit allen möglichen Facetten dieser Errungenschaft? Oh ja, denn die Dorfschule der Armen, deren Lehrer und Schüler, die der Autor einfühlsam beschreibt, sind in jeder Hinsicht außergewöhnlich und treffen den Leser tief in seiner Seele.
Dem Kind durch Bildung eine bessere Zukunft ermöglichen
Das winzige Bauwerk ist baufällig, windschief und ständig vom Einsturz bedroht – „es hätte nur eines Ziegenbocks bedurft, der hinter einer Ziege her war“. Damit das Schulministerium es nicht endgültig schließt, müssen am ersten Schultag mindestens zehn Schüler erscheinen. Kinder gibt es zwar genug, aber ihre Eltern schuften im Zinn-Abbau, sind Fischer, Landarbeiter, Lastenträger, Gärtner oder Kokosraspler. Keine Familie dieser ärmsten und bildungsfernen Bevölkerungsschicht kann auf den hilfreichen Beitrag verzichten, den die kleinen Hände ihrer Kinder erbringen. Ob stattdessen der Besuch der Dorfschule dem Kind oder der Familie eine bessere Zukunft ermöglichen kann, weiß niemand. Und doch kommen zehn Kinder zusammen – „Ikal“ („Lockenkopf“, wie der Ich-Erzähler genannt wird) ist eines von ihnen.
Keiner würde je eine Stunde schwänzen
Alle sind sich des Opfers bewusst, das ihre Familien erbringen; alle wissen, was für ein Privileg sie genießen; alle sind stolz. Keiner würde je eine Stunde schwänzen oder sich über den Unterricht beklagen; jeder setzt seinen Ehrgeiz darein, die gestellten Aufgaben mit äußerster Sorgfalt zu erledigen – denn jeder kennt die einfache Wahrheit: Bildung nützt am meisten dem eigenen Fortkommen und dem der Familie.
Lintang hat den weitesten Schulweg. Er wohnt mit seiner Großfamilie am anderen Ende der Insel. Schon vor dem Morgengrauen verlässt er jeden Tag das Haus und fährt mit dem Fahrrad, an dessen Sattel er nicht reicht, die vierzig Kilometer unbefestigte Wegstrecke und erscheint zumindest in der Trockenzeit pünktlich zu Schulbeginn im Klassenraum. In den Monsunzeiten, wenn alles unter Wasser steht, gelingt ihm dies oft nicht; dann muss er sein Rad schieben und sich durch Mangrovensümpfe schlagen, in denen sich Krokodile tummeln. Aber Lintang kann nichts schrecken. Intelligent wie er ist, fällt ihm das Lernen leicht, und er ist ein mathematisches Genie. Er wird den Intelligenzwettbewerb der besten 100 Schüler des Landes gewinnen; sein Erfolg wird die Schule aufwerten und zunächst ihren Fortbestand sichern. Und wenn in der Regenzeit ein wunderschöner Regenbogen am Himmel steht, freuen sich alle darüber ...
Andrea Hirata schreibt in vielen einzelnen Geschichten vom Alltag der Schüler in einem indonesischen Dorf – sie sind mal heiter, mal spannend und mal traurig, doch sie alle berühren das Herz des Lesers, weil sie authentisch und feinfühlig erzählt sind. In einem Interview bei Youtube erzählt er über die Hintergründe. Bibliografische Angaben: Andrea Hirata: Die Regenbogentruppe Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag München 2013 ISBN 978-3-446-24146-6 9,99 Euro als Taschenbuch
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