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Langeweile – was war das noch? Schon vergessen? Dabei ist sie so nützlich


Von Stephie


Heutzutage kenne ich Langeweile fast gar nicht mehr, immer versuche ich, möglichst produktiv meine Zeit zu gestalten. Das war früher ganz anders: Als Schülerin habe ich stundenlang mit meiner Freundin telefoniert, obwohl wir uns schon tagsüber in der Klasse gesehen hatten. Bis mein Vater unruhig wurde und meinte, er müsse auch mal telefonieren, das tat er aber eigentlich fast nie. Als Kind habe ich oft in die Wolken geschaut statt meine Hausaufgaben zu machen, und meine Mutter bezeichnete mich als "Träumerin". In der Grundschule hätte ich manchmal kleine Männchen unter dem Pult gezeichnet statt mit der Klassenarbeit zu beginnen, erzählte die Lehrerin meiner Mutter beim Elternsprechtag. Sie war oft besorgt, was aus mir mal werden würde.


Während meiner Ausbildung zur Bankkauffrau lernte ich, strukturiert zu sein und praktisch zu denken. Ich war froh, als diese Zeit vorbei war und ich in Ruhe im Rheinland studieren konnte, weit weg von jeglicher Kontrolle. Trotzdem studierte ich so strukturiert, dass ich sehr schnell durch die Semester kam. Folglich hatte ich zum Ende der Studienzeit auf einmal wieder Langeweile. Dann blieb ich morgens stundenlang im Bett liegen und dachte, wer weiß, wann ich das wieder kann. Doch ein leichtes schlechtes Gewissen hatte ich dennoch, obwohl meine Eltern fünfhundert Kilometer weit entfernt von mir waren.


Pausen machen mich nervös


Langeweile kann so schön sein, denn es ist gesund, einfach mal sinnbefreit etwas zu tun

Klar, dass ich gleich nach dem Studium meine erste Arbeitsstelle anfing, denn ich wollte/musste ja immer schön produktiv sein. Nach zehn Jahren ging ich in Elternzeit, ganze zwei Jahre. Für heutige Verhältnisse ist das viel, also musste ich mir selbst und den anderen beweisen, dass ich das verdient hatte. In der Elternzeit ließ ich keine freie Minute einfach so verstreichen, sondern stellte mein erstes Buch „Hoffnung heißt Nadjeschda“ fertig und veröffentlichte es.


Ich finde es nahezu unerträglich, wenn ich mal krank bin, weil ich zum Nichtstun gezwungen werde. Heute mache ich selbst privat oft mehrere Sachen gleichzeitig, obwohl ich Zeit hätte, alles in Ruhe zu machen, nur damit mir nicht langweilig ist. Pausen machen mich nervös, denn sie vermitteln mir das Gefühl, Zeit zu verschwenden. Also schaue ich dauernd auf mein Smartphone. Damit bin ich nicht allein. Laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2016 können 42 Prozent der Berufstätigen, in diesem Fall ohne Kinder, in ihrer Freizeit nicht abschalten.


To do-Liste am Krankenbett


„Ein Tag, an dem man nichts geschafft hat, ist ein verlorener Tag. Dann muss man am nächsten Tag doppelt so schnell sein.“ Das war die Devise meiner Mutter. Noch im Krankenhaus im Endstadion ihrer Krebserkrankung hatte sie eine To-do-Liste für sich geschrieben und ging diese mit mir durch. Ich dachte, das kann doch wohl nicht wahr sein. So oft hatte ich ihr gesagt, sie solle jeden Tag genießen. Doch als wir den letzten Punkt auf ihrer To-do-Liste besprochen hatten, lächelte sie mich so zufrieden an, dass ich es aufgab. Nur bei mir dachte ich, Stephanie, lebe öfter im Augenblick und genieße mal wieder die Langeweile!


Öfter mal wieder in die Wolken schauen

Seit vier Jahren reisen wir regelmäßig nach Indonesien, und ich versuche, mir mehr und mehr von der Mentalität der Einheimischen abzuschauen. In Indonesien haben die Menschen oft Langeweile z. B. in der Regenzeit, bei Stromausfall, oder wenn keine Touristen kommen. Dann ist das halt so. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, öfter mal wieder in die Wolken zu gucken. Einfach mal wieder einem Eichhörnchen zuzuschauen, wie es die Vorräte versucht wiederzufinden oder sinnfrei im Bett herumzuliegen. Denn das macht den Kopf frei und lässt mich am Ende viel kreativer und glücklicher sein.


Anna liebt nicht nur ihre Schule auf Lombok, sondern auch die in Hamburg. Wie zwischen beiden Klassen Freundschaften entstanden sind, erzählen wir im nächsten Beitrag …

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